
Juni 2025
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich freue mich, hier zu Ihnen über ein derzeit einmaliges Phänomen sprechen zu dürfen: mehr als 30.000 Frauen, sogenannte OMAS, wurden in den letzten Jahren zu politischen Aktivistinnen in Österreich und Deutschland, in der Schweiz, Polen und Südtirol und demonstrieren auf der Straße für die Erhaltung unserer Demokratien und gegen die Wünsche der Rechtsextremen, sie zerschlagen zu wollen.
Das Video, das Sie eben gesehen haben, war schon die Eintrittskarte zu der Idee, Stereotypen zu verlassen und neue Energien durch die Sprengung von Zuschreibungen zu schaffen. Sie sehen ältere Frauen in Farben – nicht in beige oder schwarz -, mit Temperament, auch mit dem Überschreiten von Grenzen dessen, was ältere Frauen tun sollten, und mit Leidenschaft. Sie wissen, dass diese Emotionen wesentlich sind und diese haben uns eine Million Zuseher:innen auf Facebook, Instagram, TikTok und anderen Kanälen eingebracht.
Der Slogan des Beginns, der sich bis heute erhalten hat, war das von mir formulierte Bekenntnis: ALT SEIN HEISST NICHT STUMM SEIN. Und dieses Bekenntnis schließt auch mit ein, dass es viele Möglichkeiten gibt, seine Stimme zu erheben, man muss es nur tun. Diese OMAS GEGEN RECHTS sind nun in Österreich und Deutschland, der Schweiz und Südtirol aufgestanden, um zivilen Urgehorsam zu zeigen.
Immanuel Kant schrieb es 1784 fest und bis heute sind diese Sätze die Grundlage einer aufgeklärten Gesellschaft, also auch einer parlamentarischen Demokratie:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Die Grundlage des freien Menschen ist also sein Verstand, seine Fähigkeit, zu denken und zu handeln, es gibt keine Entschuldigung für Dummheit. Die eigene Verantwortung zählt.
Das Wesentliche an den OMAS ist nicht ihr Alter, das reicht nämlich über 2 Generationen, von 55 bis 85, das Wesentliche ist, dass alle von einem Rettungswillen, einer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft angetrieben sind, und mögliche körperliche Beeinträchtigungen durch das Engagement, durch den Willen, nochmals in dieser Gesellschaft ihre Stimme zu erheben, nebensächlich werden. Das Alter hindert nicht, an gar nichts.
Und wir reden hier nicht von der letzten Lebensphase, die ihre Würde und ihre Wertschätzung haben soll, wir reden von den vielen Phasen dazwischen, die gelebt werden wollen. Vielleicht ist es die Angst, dass etwas untergehen könnte, das uns in Frieden leben ließ, vielleicht ist es die Sorge um die Zukunft der Kinder und Enkelkinder, die uns auf die Straße treiben.
Vor nahezu acht Jahren, also 2017, erfuhr ich, dass es nun in Österreich wieder eine neue Regierung mit Beteiligung einer rechtsextremen Partei geben wird. Ich hatte spontan das Bedürfnis, dem Rechtsextremismus in Österreich unsere Stimmen entgegenzusetzen, aufzustehen, die menschenfeindlichen Stimmen nicht mehr hinnehmen zu wollen, und gründete auf Facebook die Gruppe OMAS GEGEN RECHTS mit einem Foto meiner Urgroßmutter, kämpferische Hebamme in Wien.
Am Beginn der Gründungsidee der zivilgesellschaftlichen Plattform OMAS GEGEN RECHTS stand die völlige Klarheit, dass diese politische Plattform das Klischee durchbrechen soll und muss: das Klischee der alten OMA, die strickend im Schaukelstuhl sitzt, Apfelkuchen bäckt und den Enkelkindern vorliest. Es war auch klar, dass Aktivistinnen selbstbestimmte ältere Frauen sind, die keine Angst davor haben, auf die Straße zu gehen. Und Frauen zwischen 55 und 85 Jahren, die meistens schon beruflich mit dem Internet vertraut waren, das Internet kannten und handeln konnten. Dass dann tausende Frauen in ganz Deutschland auch aufstanden und nun seit Jahren der Zivilgesellschaft ein neues Antlitz geben, nämlich das der älteren engagierte, mit einer Tafel bewaffneten Frau, war ein Wunder.
Viele von uns gehören der Nachkriegsgeneration an und erlebten die Traumata der Eltern hautnah mit. Auf der anderen Seite hatten wir als erste Generation in der Geschichte Europas, ja der westlichen Welt, die Chance auf hohe Bildung fast aller Bevölkerungsschichten. Viele unter uns haben und hatten Leitungsfunktionen in unterschiedlichen Berufen. Und dann bildete uns die 1968er Jahre zu Demonstrantinnen aus. Sie lehrten uns, dass ziviler Widerstand erfolgreich sein kann.
Dass in letzter Zeit die Zivilgesellschaft selbst auf dem Prüfstand rechter Parteien steht, zeigt den Mangel an Bildung an politischem Bewusstsein. Sie, die Zivilgesellschaft, ist eine der ersten Feindbilder und Ziele autoritärer Regierungen, sie wird als NGO-Wahnsinn abgehadelt, dabei gehört sie zu einer der wichtigen Säulen in einer parlamentarischen Demokratie und ist nicht verhandelbar. Als Gegenüber zum Staat muss sie ihn kritisieren dürfen, muss sie ihm den Spiegel vorhalten, muss sie auf Versäumnisse hinweisen dürfen.
Und nun stand an unserer Gründungsstunde das Internet. FACEBOOK, jetzt angeblich der Kanal der Ü60. Dank unserer Kenntnisse, vielfältig durch das Berufsleben erworben, konnten wir schnell das schaffen, was für jeden Menschen notwendig ist: einen Austausch von Ideen, eine Vergemeinschaftung von Wissen, soziale Teilhabe an politischen Entwicklungen und das Herausgehen aus der selbstgemachten Isolierung durch Treffen, um unseren politischen Protest auf der Straße möglich zu machen. Die Digitalisierung hat also das geschafft, was sonst niemand geschafft hätte: wir sind zusammengekommen. Unser erster historischer Auftritt war im Dezember 2017 am Tag der neuen Regierungsangelobung mit der österreichischen Hochschüler:innenschaft, die unseren Auftritt beklatschte. Auch das journalistische Echo war am 1. Tag da und das Interesse reichte von der New York Times bis BBC, von Norwegen bis Italien und Frankreich.
Nun sind wir in einer Hochzeit der Technik angekommen, die Vernetzung, Kreativität und seelische Gesundheit befördern kann. Was für die Jugend eine Gefahr darstellt, sich nämlich in endlosen Schleifen des Internets zu verlieren und über das Maß müde zu werden, das ist für Ältere eine unglaubliche Chance. Auf der einen Seite können wir Ältere darauf verzichten, unentwegt a jour zu sein, auf der andere können wir es sein, wenn wir wollen, international Zeitungen lesen, sich über Kontinente verbinden und verbünden.
Schritt für Schritt erarbeiteten wir uns andere Kanäle als Facebook, nämlich Instagram, Twitter, Bluesky, Youtube, TikTok. Wir arbeiten selbstverständlich mit dem Internet, mit Google, und neuerdings mit KI. Überall gibt es Resonanzen. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Jugend in ihren Hoffnungen und der Gestaltung ihrer Zukunft zu unterstützen und dafür braucht es die Demokratie. Wir sehen wie alle, dass die Debattenkultur leidet, dass auch die Spaltung der Gesellschaft zunimmt.
Wir reden nicht mehr so wie früher von links und rechts, sondern von denen, die die Demokratie fördern wollen und denen, die die Demokratie zerstören wollen.
Das Internet fördert demokratische Prozesse in einem Ausmaß, das wunderbar ist. Nie hat in der Geschichte der Menschheit das Wissen derartige Chancen gehabt, sich zu erweitern und sich zu vernetzen. Aber es gibt auch wie oben erinnert ethische Standards und das Versprechen der Freiheit in Verantwortung.
Technik findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in tausendfältigen Kontexten. Im Vordergrund steht für Technik die Technologie, also die Frage, wie Ziele technisch zu erreichen sind, wir eine Idee technisch umsetzbar ist. Dabei steht am Beginn nicht immer die Frage, was sein darf, sondern eher, wie das verdammt noch mal möglich ist, von A nach B auch in vernetzten Settings zu kommen.
Der Faktor Mensch wird vernachlässigt, weil der Rausch der Möglichkeiten so gigantisch ist. Aber es gibt Ageismus, Sexismus und Rassismus. Genügende Hassmails an uns erinnern daran, dass es Verachtung für ältere und alte Menschen in unserer Kultur gibt. Auch Verachtung für Frauen, die sich zu Wort melden und wagen, Positionen zu beziehen. Alter wird vielfach wegretouschiert, darf man überhaupt alt sein? Falten haben?
Interessante wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ältere Menschen schlechter darin sind, Fake News zu erkennen. Als ältere Menschen werden in dieser Studie allerdings die Millenials bezeichnet, Generation X, 1980-95 Geborene.
Dass die grössten Techno-Konzerne private Gründungen sind und dem Markt- und Profitgeschehen nicht unterliegen, wird als großes Problem wahrgenommen. Der sogenannte „Technofeudalismus“ bringt große Unruhe, staatliche Kontrollversuche wirken hilflos und die Frage der ethischen Standards ist ausgeklammert. Welche Rolle hat der Staat nun bekommen, wenn neben ihm ein Transfer passiert, den er nicht regeln kann? Welche Rolle hat der Staat bekommen, wenn neben ihm Milliardenvermögen lukriert wird? Welche Rolle hat die Marktwirtschaft bekommen?
Deshalb ist es gut, auf unsere Demokratien zu schauen und die Gefahren realistisch zu benennen und einzuschätzen. Informationen des guten alten Brockhaus waren mehrheitlich Informationen, die heutigen Kommunikation im Internet, häufig als Information getarnt, ist oft verschleierte politische Agitation, Meinungsmache mit Hilfe der Algorithmen und Wahlbeeinflussung.
Social Media wird weiterhin gute Inhalte und wissensbasierte Themen brauchen, die die Menschen für etwas begeistern können, das dem Leben Sinn gibt, und ethische Kontrollmechanismen, die vor allem unsere Jugend schützen. Dafür setzen wir uns ein. Dazu rät uns auch unsere Lebenserfahrung. Die Freiheit ist schnell verloren.
Eine wissenschaftliche Studie der Universität Graz zeigt, dass die Generation 60+ eine höhere Lebenszufriedenheit hat, sie heißt U-Kurve des Glücks. Viele der Älteren verstehen, dass es wichtiger ist, in der Gegenwart zu leben. Stellen Sie sich vor:
Ältere Menschen haben sich während des gesamten Erwachsenenalters nie glücklicher gefühlt. Das nennt man PARADOXON DES ALTERNS.
In diesem Sinne: freuen Sie sich darauf und passen Sie auf die Technik auf!