Rede Michael Köhlmeier bei der Demo in Hohenems

Diese Rede hielt der Schriftsteller Michael Köhlmeier bei der friedlichen Sonntagsdemonstration für ein menschliches Fremden- und Asylrecht am 16. Dezember 2018 in Hohenems.

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foto: wikipedia.de

Liebe Freunde

Die Regierung zieht geschlossen aus dem Parlament aus. Ausgerechnet, als über das Frauenvolksbegehren, das Nichtrauchervolksbegehren und das ORF-Volksbegehren diskutiert werden soll, erheben sich der Bundeskanzler und die Regierungsmitglieder von ihren Bänken, mit ihnen etliche Abgeordnete der ÖVP und der FPÖ und verlassen den Plenarsaal. Weil es unangenehm werden könnte, Fragen gestellt zu bekommen. Zum Beispiel: Wie haltet ihr es mit eurem groß angekündigten Versprechen, mehr direkte Demokratie wagen zu wollen? Wenn es unangenehm wird, geht man. Anstatt zu sagen, was man zu sagen hat. Das ist das Gegenteil von Parlamentarismus.

Vielleicht ist dem Bundeskanzler nicht bewusst, wohin eine Gesellschaft driften kann, wenn ihre politischen Vertreter das Parlament verhöhnen – und der Auszug der Regierung aus dem Parlament war eine Verhöhnung. Es gibt andere, die genau wissen, wohin solche Verantwortungslosigkeit führt. In Illiberalität und letztlich in Diktatur. Es gibt andere, die wissen das – und die wollen das. Es sind jene, die in der Vergangenheit das Parlament als Quatschbude lächerlich gemacht haben. Ich höre mir an, wie der Innenminister mit der Opposition spricht. Seine Worte sind durchsetzt von Spott und Hohn und Häme und Verachtung. Spott, Hohn, Häme, Verachtung für alle, die anderer Meinung sind. Er lässt kaum Zweifel, dass ihm ein Polizeistaat lieber ist als ein demokratischer Staat. Aber darum geht es nicht. Ich halte Herrn Kickl für einen Wirrkopf, und wahrscheinlich weiß er selbst, dass er einer ist und will es mit seinem kruden Aktionismus vor uns und vor sich selbst verbergen. Es geht darum: Er kann nur tun, wenn man ihn lässt.

Der Bundeskanzler lässt ihn. Der Bundeskanzler lässt auch die Ministerin, die unseren Sozialstaat zerstören will. Der Bundeskanzler lässt auch seinen Vize, der sich bei jeder Gelegenheit mit den erklärten Feinden Europas aufs Packel haut. Er sagt nichts zu Nazisprüchen und Verschwörungstheorien, und er sagt nichts zu irren Träumereien von Stacheldrahtlagern für minderjährige Flüchtlinge. Er lügt eifrig mit, wenn es darum geht, den Migrationspakt der UNO zu diskreditieren, an dem es nur einen Punkt gibt, der die FPÖ tatsächlich stört, nämlich den Punkt, in dem festgelegt wird, dass Migranten im Gastland auf Einhaltung der Menschenrechte bestehen dürfen. Das kann man natürlich öffentlich nicht sagen. Deshalb lügt man in den Migrationspakt Sachen hinein, die nicht drinstehen. Der Bundeskanzler macht mit, der Bundeskanzler lässt zu. Die ÖVP hat das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium. Danke, das genügt.

Der Bundeskanzler sagt: Diese Regierung streitet nicht. Der Bundeskanzler sagt: Schluss mit dem Anpatzen. Der Bundeskanzler spricht in Kleinkindsprache. Als säße er zusammen mit anderen Strampelhosen tragenden Buben im Sandkasten.

Weiß der Bundeskanzler nicht, dass das Wort Parlament sich ableitet von parlare? Parlare heißt reden. Im Parlament wird geredet. Das ist die Funktion des Parlaments. Reden anstatt draufhauen. Unser Innenminister mag meinen, miteinander zu reden sei etwas für Weicheier. Wir müssen ihn eines Besseren belehren. Auch deshalb stehen wir hier. Ich bin stolz auf Hohenems.

Parlamentarisches Reden heißt, sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Da kann es hart zugehen. Da kann sehr wohl auch gestritten werden, Herr Bundeskanzler. Da muss sogar gestritten werden, Argumente gegen Argumente. Nicht Burschenschaftlersäbel gegen Burschenschaftlersäbel. Es ist traurig, dass dies nach achtundsiebzig Jahren Zweite Republik noch gesagt werden muss.

Der Bundeskanzler denkt in Sandkastenkategorien. Er meint, sich parlamentarisch auseinanderzusetzen, sei gleichbedeutend mit sich gegenseitig anzupatzen. Da steht man doch lieber auf und verlässt den Sandkasten, meint er. Dort ist es eh langweilig, meint er. Mehr Spaß macht, ohne Widerspruch zu regieren, meint er. Ohne das lästige Parlament. Ein politischer Macher pfeift auf das Parlament. Vielleicht meint inzwischen ja auch der Bundeskanzler: Nur Weicheier hören sich das Gequatsche im Parlament an.

In der ersten schwarz-blauen Regierung hat der damalige Bundeskanzler Schüssel die Sache klar aufgeteilt: Wir Schwarzen regieren, ihr Blauen dürft euch die Taschen füllen, wir schauen weg. Deshalb beschäftigen sich bis heute die Gerichte mit der Sache. Was eines Tages über die gegenwärtige schwarz-blaue Regierung gesagt wird, weiß ich nicht.

Ich kenne unseren Landeshauptmann, ich habe mich oft und gut mit ihm unterhalten. Markus Wallner ist ein mit vielen Wassern gewaschener politischer Fuchs. Er weiß, was Macht ist. Und das ist gut so. Einem Politiker, der nicht weiß, was Macht bedeutet, traue ich nicht. Ich halte Markus Wallner für einen aufrechten und zweifelsfreien Parlamentarier. Und weil er weiß, was Macht heißt, weiß er auch, welche Macht ein Landeshauptmann innerhalb der ÖVP hat – noch hat.

Von Hohenems aus rufe ich ihm zu: Markus, du hast noch alle demokratischen Tassen im Schrank, unterwirf dich nicht, mach deinem jungen Kollegen, dem zurzeit die meiste Macht in unserem Staat gegeben ist, klar, dass zur Ausübung demokratisch legitimierter Macht zuvorderst gehört, sich kundig zu machen, was für ein empfindliches Gebilde die Demokratie ist, was für ein hohes Gut sie darstellt, und dass es einer Bundesregierung nicht ansteht, die Demokratie und ihre Institutionen zu verhöhnen, indem sie geschlossen den Schwanz einzieht und aus dem Parlament abhaut, wenn es heißt, vor Andersdenkenden Stellung zu beziehen.

Michael Köhlmeier