Sehr geehrter Herr Außenminister Mag. Schallenberg!

Heute ist Weihnachten, und ich möchte Ihnen persönlich als Privatperson mitteilen, dass ich an diesem Tag heuer sehr traurig bin.

Die Weihnachtsgeschichte, die in unserem Österreich eine große Tradition hat, ist heute natürlich ganz präsent – die Geschichte von Maria und Josef in einer Notlage, die an jeder Tür abgewiesen werden, bis sie schließlich das Wunder der Geburt Jesu in einem schmutzigen Stall erleben…

Ich kann heute nicht freudig Weihnachten feiern, in einer warmen Wiener Wohnung, mit einem leckeren Festessen und Geschenken, die in Wirklichkeit kein Familienmitglied wirklich braucht. Denn ich kann die Bilder aus dem griechischen Lager in Lesbos nicht aus meinem Kopf verdrängen… Was werden die Menschen heute dort essen? Wie werden sie ihre Kinder eine weitere Nacht auf kalte, durchnässte Matratzen betten, in einem feuchten Zelt, wo der Regen durchrinnt und der Wind durchpfeift??

Die Parallele zur Weihnachtsgeschichte habe ich noch nie so deutlich erlebt wie in diesem ohnehin schon so belasteten Jahr! Das mag vielleicht sentimental erscheinen, aber nein, ES IST BEINHARTE REALITÄT!

Heute habe ich im Mittagsjournal gehört, dass die griechische Regierung ihr Einverständnis gegeben hat für ein Tagesbetreuungszentrum, das Bildungsangebote und „Beratung“ für die Eltern der Kinder in Kara Tepe anbieten soll! 

Ich habe Sie, Herr Minister, im ORF reden gehört, dass dies nun das Projekt Österreichs sei, vor Ort zu helfen, dass man aber in der Frage, einige Familien aus dem Dreck zu holen, weiterhin „konsequent“ bleiben werde, mit einem „NEIN“…

Ich frage mich wirklich inständig, WIE UND WORÜBER SOLL MAN DIE ELTERN VON DIESEN KINDERN „BERATEN“?

Die Kinder kehren am Abend in das Lager zurück. Werden die Eltern beraten, WIE SIE IHRE KINDER ETWAS GESCHICKTER AUF DIE NASSEN MATRATZEN LEGEN KÖNNTEN? WIE SIE AUCH OHNE DUSCHEN DIE KRÄTZE AUF DER HAUT IHRER KINDER BEHANDELN KÖNNTEN? DASS SIE TUNLICHST DIE GANZE NACHT WACH BLEIBEN SOLLTEN, UM DIE RATTEN ZU VERSCHEUCHEN, DIE DANN KOMMEN, WENN ALLE EINGESCHLAFEN SIND??

Ich möchte nicht zynisch sein, sg. Herr Minister, aber dieses „Beratungsangebot“ erscheint mir wie der allerzynischste HOHN!!

Jeder einfache Mensch, der Augen im Kopf hat, sieht sofort, dass EINE HILFE VOR ORT  IN DIESER HUMANITÄREN KATASTROPHE SCHLICHTWEG UNMÖGLICH IST!! Das bestätigen alle Experten, die dort waren! 

Herr Mag. Schallenberg, Sie sind sicherlich einer der intelligentesten Köpfe in dieser Regierung. Auch wenn Sie parteilos sind, so nehme ich doch an, dass Sie, weil sie einer renommierten österreichischen Traditionsfamilie entstammen, eher dem ursprünglich christlichsozialen politischen Bereich nahe stehen. Von den jungen türkisen Herren erwarte ich mir diesbezüglich nichts. Aber wo sind für Politiker wie Sie, Werte wie eine christlich-menschliche Haltung geblieben?

Sie haben weiters sicherlich ein großes Geschichtswissen, im Gegensatz zu so manchem Ihrer RegierungskollegInnen ohne Ausbildung. Sie wissen, dass unsere Vorfahren in der Nazizeit mit DENSELBEN ARGUMENTEN WIE HEUTE DIE FLÜCHTLINGE, z.B. an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden, und sogar zurückgeschickt wurden, wenn sie es über die Grenze geschafft hatten (heute elegant „push-backs“ genannt). Die Argumente damals wie heute lauten: Die Grenzen dicht machen, Angst vor Überfremdung schüren, Menschen zurückschicken, obwohl man weiß, dass dies ihren sicheren Tod bedeutet. Damals in den KZs in Nazideutschland, heute in Syrien, Afghanistan etc.

Ich schreibe Ihnen als einfache Bürgerin diese Landes Österreich, und als Mitglied der OMAS gegen RECHTS. Die OMAS halten seit dem Brand von Moria täglich im Radldienst 6 Stunden lang MAHNWACHE vor dem Bundeskanzleramt, um menschliches Handeln seitens der Bundesregierung einzufordern. Die OMAS sind nur eine kleine Gruppe, aber Sie wissen sicherlich, dass quer durch die Zivilgesellschaft immer mehr Menschen aufstehen und immer lauter ein rasches Handeln in dieser Frage fordern! 

Sie sind die VertreterInnen des Volkes, und auch ihr Koalitionspartner ist für eine Aufnahme von Menschen aus Lesbos, damit sie endlich dieser eisigen, nassen Hölle aus Hunger, Krankheit und Dreck entkommen. Die nötigen Plätze für 3000 Menschen sind in Österreich bereits von der Zivilgesellschaft organisiert und umfassend bereitgestellt (Mut zur Menschlichkeit). 

Es scheitert einzig und allein am Veto des schwarz/türkisen Teils der Regierung! Das ist wahrlich entsetzlich!Ich appelliere dringend an Sie, Herr Mag. Schallenberg, auf Ihre jungen türkisen KollegInnen, denen es AUSSCHLIESSLICH um WÄHLERSTIMMEN und KARRIERE geht, einzuwirken, damit diese endlich einlenken! Und ich sage Ihnen als ältere Frau mit Lebenserfahrung, ein Umdenken würde Ihrer Regierung gut anstehen und auch von den WählerInnen goutiert werden! Denn die Stimmung ist knapp vor dem Kippen, denke ich. Sehr vielen Menschen, auch aus der ÖVP, ist die harte Haltung der Regierung ganz und gar nicht mehr recht! Im Gegenteil, diese Haltung wird als unwürdig und schandhaft empfunden, im In- wie im Ausland! 

Ich bin keine tiefreligiöse OMA und ich möchte nicht belehrend sein. Aber heute feiern wir alle gemeinsam die Geburt von Jesus Christus. Zum Abschluss meiner Botschaft möchte ich Sie daher an 2 Zitate von Jesus aus der Bibel erinnern, die nur allzu bedeutsam und wahr sind:

„Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan…“

„Ich habe keine Hände, als eure Hände…“ 

Sehr geehrter Hr. Mag. Schallenberg, ich wünsche Ihnen, dass Sie gemeinsam mit Ihren Kindern ein schönes Weihnachtsfest erleben. Ich habe auch Kinder, und ich werde heuer die Gedanken nicht los, wie es wäre, wenn MEINE KINDER in so einem Lager sein müssten… Ich möchte Sie einladen, sich das auch einmal – ganz kurz nur – für Ihre Familie vorzustellen…

Ich meine das nicht als billige Sentimentalität. Es ist nur allzu bittere Realität! Denn seien wir uns als intelligente Menschen doch ehrlich, eines ist unbestreitbar: Über unsere ganzes Sein und über unsere Möglichkeiten im Leben entscheidet doch nichts so vehement – wie auch Jean Ziegler sagt – wie DER ZUFALL DER GEBURT. Und dieser Zufall ist nicht unser Verdienst, und kann daher unsere Überheblichkeit nicht rechtfertigen… 

Ich wünsche Ihnen besinnliche Feiertage und weise Entschlüsse für das NEUE JAHR 2021! 

Isabella Amadori, 1190 Wien

Bürgerin und Mitglied der OMAS gegen RECHTS